wenn einer stirbt, wenn ein leben früh und abrupt endet, bleiben für die hinterbliebenen viele fragen. in j.k. rowlings „the casual vacancy“ stellt der tod von barry fairbrother ein ganzes dorf in frage.
nach seinem hirnschlag erfährt der engagierte ortsbeirat von pagford mehr zuwendung als zu lebzeiten. doch gerade über dieser verklärung brechen im bemühen, einen nachfolger zu benennen, lügen und eitelkeiten der kleinen gesellschaft auf. tod als katalysator: vor uns breitet rowling ein tableaux aus verleugnungen und verletzungen, aus deformationen und zerstörten hoffnungen.
bei seinem erscheinen 2012 hatte der band, der erste erwachsenenroman rowlings nach harry potter, gemische gefühle evoziert. vor allem in den usa stieß die sprache der drogensüchtigen terri und ihrer tochter krystal auf puritane entrüstung. unbeachet blieb dabei die sprache der erzählerin. denn in ihren detaillierten beschreibungen widersetzt sie sich allem teenager-jargon und fügt sich in satzbau und stil ganz in das dorfidyll aus petunien-ampeln, kriegsdenkmal und fachwerk, in das sie ihre romanklientel flüchten lässt.
„this uncomfortable and hitherto concealed fact had emerged slowly in the wake of barry’s death, like flotsam revealed by the ebbing tide“: solcherart knospen gedeihen im gestrüpp zwischen teenagerkrise und erwachsener selbstüberschätzung in rowlings sprachgarten. in diesem fall beschreibt sie die abneigung der fairbrother-witwe gegen den freund ihres mannes, den stellvertretenden schulrektor colin wall, den sie weiter hinten übrigens mit einer ziemlich lustigen zwangsneurose bedenkt.
gegen die idylle kämpft rowling also nicht mit der waffe einer radikalen gegensprache. will sie die lebenslügen und romantischen verklärungen ihrer protagonisten glaubwürdig transportieren, muss sie sich selbst in die verklärung fügen, muss sich selbst sprachlich gefangen setzen zwischen dem schatten der abteiruine und den blumenampeln.
ist also ein petunisches erzählen die sprache, die heute die verlogenheit der gesellschaft spiegelt? ist die sprachliche idylle des in arroganz verstrickten teenagers fats, who „aksed himself wether his sympathies ought not to lie with simon whom he liked entertaining with crude, crass humour focused mainly on people making tits of themselves or suffering slapstick injuries“, ist dessen festsetzung im sprachlichen duktus der erzählerin das, was uns heute nur noch sprachlich blühen kann, die wir unser leben versuchen zwischen selbstentwurf und selbstverleugnung hindurchzumanövieren?
„how desperate she has been for a storybook ending“, legt rowling der sozialarbeiterin kay in die gedanken, nachdem sie sie mit ihrer aufsässigen tochter gaia von london ausgerechnet in die hope street pagfords hat einziehen lassen. die sehnsucht nach einer erfüllten beziehung, nach kamingeknister und dem „green grass of home“, – damit lädt rowling die emotionen ihrer figuren auf, – und lässt sie nicht nur an den eigenen träumen, sondern immer wieder an der realität der gesprochenen sprache zerschellen.
es mag leser/innen geben, die die erwachsenenarbeit rowlings an der harry-potter-welt messen, die ihr klischees vorhalten oder gar eine wunderschöne sprache. alles verkennt, dass hier jemand nach etwas sucht, was uns heute ausmacht: nicht das setzieren der realität, nicht das hinschauen und das engagieren, sondern der moralische kleister, mit dem vor allem etablierte gruppen politik, gesellschaft, alltag, verantwortung, – ja, alles überziehen, was unser leben ausmacht. wie glaubwürdig wir darin sind … das gehört auch hierzulande aufgeschrieben. (20. September 2015)
j.k. rowling, the casual vacany. als taschenbuch oder gebunden in jeder buchhandlung in ihrer nähe.
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